ICH BIN EINE STARKE FRAU

In Pollykarpsing hat sich eine neue Gruppierung gegründet. Den Schultheiß wollen sie aus dem Sattel heben. Anders wollen sie sein. Offen, ehrlich und kritikfähig - und nicht bestechlich. "OEK" - abgekürzt. Die selbst ernannte Sprecherin steht an meinem Schreibtisch. Sie habe sehr gute Beziehungen, sagt sie. Nein droht sie. Und fordert auch gleich, im Namen des Spitzenkandidaten Peter Heumann einen Bericht über ihre Gruppierung zu veröffentlichen. Vorrangig aber müsse sie und ihre Aktionen positiv erwähnt werden. Mindestens einmal wöchentlich will sie ihren Namen lesen, sagt sie. "Ich bin eine starke Frau, das müssen sie wissen."
"Ja, und die anderen auf der Liste...?", frage ich vorsichtig nach. Und was sie denn von Solidarität halte?
Dieses Wort kennt Frau Pickelstein nicht. Ich habe, ich bin, ich werde, ich tue, ich kenne und ... Sie spricht nie normal, sie ist laut und versucht sich in der Häschenohrensprache. Indem sie alle wichtigen Aussagen, die sie trifft, mit angedeuteten Luftgänsefüßchen unterstreicht. Wobei sie beide Hände nach oben reisst, dort angekommen kurz in der Luft hängen lässt und dann theatralisch die Gänsefüßchen wippend mittels Mittel- und Zeigefinger darstellt.
"Ist ja schon gut", wehre ich ab.
Überzeugt, dass sie mich nicht so richtig überzeugt hat, wartet sie mit einem berühmten Fernsehstar auf. Den kenne sie und der sei jederzeit bereit, ihre Projekte zu unterstützen, sagt sie.
"Toll, ja - was hat er aber mit der Sache zu tun?"
"Wir wollen den Schultheiß stürzen, und wenn ich mit Zwackerl Bobol hier auftrete, dann heimsen wir alle Stimmen ein. Der Schultheiß und sein Gesindel muss weg."
Mit wem... Ackerl Zwobol?, kenne ich nicht.
"Z w a c k e r l B o b o l" wiederholt sie ungeduldig. Ihr Blick sagt mir, dass sie nicht viel von meiner Fernsehtauglichkeit hält. Dass sie überhaupt nicht viel von mir hält.
"Wissen sie, ich kenne mich im Journalismus aus. Deshalb liefere ich ihnen die Texte über unsere OEK und die Fotos dazu selbst", knallt sie mir auch schon ihre ersten Ergüsse auf den Tisch.
"Aha", denke ich mir, "so schnell wird man zur Expertin". Tippse war sie mal für kurze Zeit in einer kleineren Redaktion. Nicht lange, dann hat man sich getrennt, wie es so schön heißt. Pickelstein sei mehr durch Intrigen als durch gute Arbeit aufgefallen, wissen Kollegen aus der Szene.
Ich werfe einen kurzen Blick auf die Fotos und erlaube mir, nachzufragen.
"Was haben denn die schwimmenden Menschen auf dem Foto mit ihrer Gruppierung zu tun?"
Pickelstein gerät völlig aus der Fassung.
"Ja sehen sie ihn denn nicht. Mitten unter den Menschen schwimmt Zwackerl Bobol."
"Und die, die um ihn herum schwimmen, sind die Kandidaten der OEK? Was soll den außerdem der Schultheiß auf den Fotos. Ich denke, sie hassen ihn und haben einen eigenen Bürgermeisterkandidaten?."
Pickelsteins kalte Augen befinden sich bereits im Frostbereich.
Mit etlichen Luft-Gänsefüßchen erklärt sie mir die Wichtigkeit der Fotos. Dass es reine Taktik sei, den Schultheiß zu zeigen. Bei den schwimmenden Menschen aber handle es sich um einen ihrer größten Events. Der Schultheiß sei sogar mitgeschwommen... lobte sie Fritz Zacherls sportliche Seite. Nein der Bürgermeisterkandidat der OEK habe sich nicht blicken lassen, hängt sie verächtlich an.
Und schon droht sie wieder: "Das bringen sie in der morgigen Ausgabe. Sonst werde ich ihrem größten Anzeigenkunden erklären, dass er keine Anzeigen mehr bei ihnen schalten darf."
"Morgen ist ein gerader Tag. Da erscheinen wir nicht", zeige ich ihr die kalte Schulter.
"Dann bringen sie eine Extraausgabe! Sonst mach' ich sie fertig."
Frau Pickelstein in dem Glauben lassend, dass ich mich fürchte und dass sie gute Überzeugungsarbeit geleistet hat, verlässt sie mich. Weil sie aber ihre Tasche mit dem Aufdruck "Touch me" vergessen hat, renne ich ihr hinterher, stocke aber mitten im Schwung. Ein paar Meter die Straßen abwärts steht die Pickelstein, vertieft in einen offensichtlich freundlichen Plausch mit Fritz Zacherl.
Bussi hin, Bussi her.
Ich höre zwar nicht, was die beiden zu besprechen haben, jedoch ihr Verhalten spricht Bände. Freundschaftlich packt Pickelstein den dürrlocherten Zacherl unterm Arm und schleift ihn ins nächste Stehcafe.
Rosa Pickelstein erinnert mich immer mehr an die Stiefmutter von Schneewittchen. Hinter ihrer freundlichen Fassade, in der ihre eiskalten Augen in dunklen Höhlen lauern, verbirgt sich eine eitle und dumme Persönlichkeit, die weder Freund noch Freundschaft kennt. Ihre eigenen Kinder opfert sie ihrer Karriere und schiebt sie ab. Entweder sie befinden sich in einer Ganztagseinrichtung oder sie werden im Kinderzimmer versteckt. Als liebevolle Mutter wurde sie noch nie gesichtet. Daür hat Pickelstein stets die Giftspritze dabei, um vermeintliche Konkurrenten und Kritiker sofort mundtot zu machten.
Der Schultheiß scheint derzeit zu ihren Verbündeten zu gehören. Ich gehe zurück an meinen Schreibtisch und stelle die Tasche, gefüllt mit Hasenfutter, Handy, Terminkalendern und Vitamin- und Gelenkstärkungsmitteln, in die Ecke.
Stutze aber, denn aus dem Seitenfach des anhängenden Sportbeutels blinkt vorwitzig die winzige Ecke eines Schecks hervor. Meine natürliche Neugierde und wie gesagt, mein Sherlock-Holmes-Spürsinn, lassen mich jede Scham vergessen. Ich ziehe den Scheck, ohne dass sich ein schlechtes Gewissen bemerkbar macht, aus dem Fach.
Interessant. 10000 Euro als Spende deklariert, ist zu lesen. Aussteller ist der Boandlkramer. Jener Boandlkramer, an dem Pickelstein kein gutes Haar gelassen hat.
Jetzt gilt es nur noch, eins und eins zusammen zu zählen.






RUFMORD

Sämtliche Alarmglocken im Anschlag suche ich mir die Liste der neuen Gruppierung heraus. Bis auf Pickelstein scheint es sich um durchaus seriöse Mitbürger zu handeln. Ich rufe den Spitzenkandidat an und versuche, einen ersten Warnschuss loszulassen.
"Guten Morgen, Herr Heumann. Ich weiß jetzt nicht so Recht, wo ich anfangen soll."
"Frei von der Leber weg", ermuntert mich Heumann gut gelaunt.
Gut, das ist auch mein Prinzip.
Nun erzähle ich ihm, was ich beobachtet hatte und dass mir das Verhalten von Frau Pickelstein merkwürdig vorkommt. Von dem Scheck erzähle ich noch nichts. Ich will mir eine Option offen halten und Frau Pickelstein nicht komplett in die böse Ecke stellen. Möglicherweise irre ich mich, mit dem, was ich vermute.
Peter Heumann reagiert wütend. Jedoch nicht auf seine vermeintliche Mitstreiterin, sondern auf mich. Der Lügen beschimpft er mich und dass es sich bei Frau Pickelstein um eine engagierte und herzliche Frau handelt, die nur Gutes im Sinn hat. Und um dem Ganzen noch eins drauf zu setzen, entzieht er mir auch gleich noch sämtliche Anzeigenaufträge für seinen Getränkeservice.
"Aha, so sehen sie das. Ja gut, wenn sie meinen. Mein Bier soll es nicht sein."
Ich hänge ein. Kopf schüttelnd lasse ich die letzte Stunde Revue passieren.
Überzeugt davon, dass der Intelligenzquotient von Pickelstein weit unter ihrem Showtalent liegt und dass sie sich über kurz oder lang selbst verraten wird, gehe ich an meine Arbeit.
Den Scheck kopiere ich vorsichtshalber und lege ihn dann zurück ins Seitenfach der Sporttasche. Keine Sekunde zu früh, denn schon stürmt die Pickelstein erneut in mein Redaktionsbüro, ein erleichterte Blick auf ihre Tasche, die sie, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, an sich reisst und ausnahmsweise wortlaus wieder aus meinem Büro rauscht.
"Danke!" und "Aufwiedersehen!" und "einen schönen Tag noch", rufe ich ihr noch hinter her. Nicht ohne Schadenfreude darüber, den Scheck entdeckt zu haben.







TRAUERFLOR

Ich hab' Frau Pickelstein längst vergessen, konnte mich ausnahmesweise drei Tage lang meinen Geschichten widmen, ohne dass mir Frau Pickelstein über den Weg gelaufen ist, das kommt unser Dorfpolizist zur Tür herein.
"Guten Morgen, Frau Polster. Sagen's nichst Privates zu mir, ich bin dienstlich da", sagt er mit finsterem Blick.
Ausnahmsweise ein gutes Gewissen weiß ich nicht, was auf mich zukommen könnte.
"Sie werden von Frau Pickelstein beschuldigt, über ihren Gartenzaun gestiegen zu sein."
"Ich? Ja, und warum das?"
"Weil sie ihr, so sagt sie, einen Trauerflor ins Puppenhaus gelegt haben."
"In welches Puppenhaus denn?"
"Das im Garten steht und Frau Pickelsteins Tochter gehört."
"Und, warum soll ich da einen Trauerflor rein gelegt haben?"
"Weil sie Frau Pickelstein seit einiger Zeit massivst bedrohen und ihr angekündigt haben, sie fertig zu machen."
"Ich? Sie?"
"Ja, Sie sie!"
"Sind Sie sich da sicher, Herr Wachtmeister?"
"Ob ich mir da so sicher bin, tut hier nichts zur Sache. Ich muss, ich betone, ich muss, gegen Sie wegen Hausfriedensbruch, Beleidigung und Bedrohung ermitteln. Frau Pickelstein hat Personenschutz beantragt."
"Personenschutz? Wegen einem Trauerflor? Wird sich wohl ihr Tschambsdara im Garten herum getrieben haben."
"Wer?"
"Na, da Pickelstein ihr Gschpusi."
"Jetzt sagens schon, was sie wissen."
"Wissen tu ich gar nichts. Aber d'Leut reden halt, dass die Pickelstein mit dem Boandlkramer a Verhältnis hat."
"Ja, Pfui Deifi. Mit dem schmierigen Hund, mit dem schmierigen."
"Und vor ein paar Tagen hat man aus dem zweiten Stock im Nachbarhaus beobachtet, wie sie es mit dem Reiber Max hinter ihrem Geräteschuppen getrieben haben soll."
"Gä, Frau Polster. Doch nicht etwa am helllichten Tag?"
"Nein, stockfinster soll es gewesen sein. So umara Viere in der Nacht. Und der Reiber soll während des ... Sie wissen schon... permanent seine Zigarre in der Hand gehalten haben."
"Welche Zigarre meinens jetzt da? ....Hähähä."
"Mei Herr Wachtmeister, nicht das, was Sie schon wieder denken. Seine richtige Zigarrn halt. Die zum Rauchen, mein ich. Er soll sogar während des Schnackslns daran gezogen haben."
"Und das alles hat man aus dem Nachbarhaus gesehen?"
"Ja, weil die Asche immer wieder kurz aufgeglommen ist. So, als ob er daran ziehen würde."
"Also, Frau Polster, ich hab' ja schon von der Zigarette danach gehört. Aber von einer Zigarre während des Schnackslns, das ist mir neu."
"Sehens Herr Wachtmeister, man lernt nie aus."
"Und bei diesem nächtlichen Akt soll er dann den Trauerflor verloren haben?"
"Möglich wäre es, dass der Boandlkramer einen Trauerflor mit sich trägt. Für alle Fälle. Woher soll denn ich so einen Trauerflor haben?"
"Stimmt, ich bin ja da, um Sie zu verhören. Also, wo haben Sie den Trauerflor her?"
"Jetzt aber Bittschön, Herr Wachstmeister. Jetzt schaung Sie mich einmal an. Und, was sehen Sie?"
"Dass' ein paar Pfund zu viel auf den Rippen haben."
"Genau. Und jetzt überlegens mal, wie ich die fast zwei Zentner über einen zwei Meter hohen Zaun hieven soll?"
"Komisch schaugert des schon aus", meint Josef Dimpflhofer nach kurzem Nachdenken. "Sie könnten aber auch einen Komplizen gehabt haben."
"Einen Komplizen? Nur um der Pickelstein einen Trauerflor in den Garten zu legen? Nein, Herr Wachtmeister, so blöd wäre ich dann doch nicht, mir auch noch einen Zeugen zuzulegen. Vergessen's des und ermitteln's beim Boandlkramer."
Von dem Scheck erzähle ich vorsichtshalber noch nichts. Könnt' mir ja zum Verhängnis werden, weil ich ihn unerlaubter Weise kopiert habe. Urheberrecht, glaube ich, nennt man dies.



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