Eine schöne Red' braucht er

Wie er da zu mir herein gekommen ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich durchs Hintertürl. Aber plötzlich steht er da, der Schultheiß, mitten drin in meim Redaktionsbüro. Schweißperlen hat er auf der Stirn. Verdruckst steigt er von oam Fuaß auf den andern.
„Jetzt ruck scho raus. Wos brauchst?“
„A Red tat i braucha“, sagt der Schultheiß. „Woaßt, a scheene Red. Da Jungfrauenbund feiert Zehnjahrigs und do soi i redn.“
„Ja red hod nachad. Wos brauchstn mi dazu?“
„Redn kannt i scho, aber es muaß a ganz a bsonderne Red werdn. A scheene, de den Weibern zu Herzen gäd. Schreibst ma de Red?!“
„Sog amoi Schultheiß. Host net du erst in der letzten Kabinettsitzung verlangt, dass i weg muaß, ausm Dorf?“
„I? Wer sogt den sowos. Na, i net, aba de andern scho.“
„So, de andern, aber du net?“
„Na, i net“, schüttelt der Schultheiß seinen hochroten Kopf.
„Ja guat. Wenn du nachat net, dann schreib i dir de Red. Kost aber wos. Legst an Hunderter aufn Tisch, na fang i scho o a.“
Arg widerwillig zieht der Schultheiß 100 Markl aus seim Sackl und legts aufn Tisch hi. „Dass du mia fei ja neamand net wos sogst.“
„Is scho guat. Kimmst morgen Mittag wieder vorbei. Na kriags dei Red.“

EINE SCHÖNE RED
Eine schöne Red schreib ich ihm. So schön schon, dass sich der Schultheiß bemüßigt sieht, auch gleich schon mal eine Kostprobe seines hervorragenden Rednertalents abzugeben.
„Meine lieben Jungfrauen und solche, die es werden wollen“, legt er los mit dem Konzept in der Hand.
„Heute sind wir zusammen gekommen, um euer Zehnjähriges zu feiern. Ich will auch eine Rede halten, so, wie es sich für einen braven Schultheiß gehört. Wie ihr sicher alle wisst, kümmere ich mich nicht nur aufopfernd um unsere Armen in unserer Gemeinde, die oft am frühen Morgen nicht wissen, wo sie des Nachts nächtigen sollen und um unsere vielen verlassenen Kinderlein, sondern auch um all unsere ehrenwerten Jungfrauen. Und ich verspreche euch, ich werde alles tun, um diese Missstände abzuschaffen. Nun sagt ein altes Sprichwort: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! Damit eine Rede gehört wird, muss es nämlich Zuhörende geben. Sonst könnte man ja schweigen. Das heißt also mit anderen Worten, ein Redner braucht Zuhörende. Mit noch anderen Worten ausgedrückt heißt das, ich brauche euch. Weil, sonst könnte ich ja schweigen und bräuchte hier keine Rede nicht halten. Wichtig ist beim Reden immer, dass eine Aussage getroffen wird. Nichts ist schlimmer, als wie wenn einer redet und redet und redet und dabei nicht konkret wird. Das kennen wir zur Genüge von unseren Bolitikern. Schön ist auch, dass ich bei euch so reden kann, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich habe mir zur goldenen Regel gemacht, in klaren und einfachen Worten zu reden. Was eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche und verständliche Übermittlung einer Information ist, die ich euch heute übermitteln möchte. So kann sich jeder den Redeinhalt merken. Und zum Abschluss möchte ich euch lieben Jungfrauen mit auf den Weg geben, dass ihr stolz sein könnt auf das, was ihr euch über all die Jahre bewahrt habt. Den lieben Gott freut’s bestimmt, wenn er ungeöffnet zurückbekommt, was er einmal in vollständigem Zustande auf die Welt schickte. Und nun lasset uns darauf anstossen und feiern.“
Gerührt steckt der Schultheiß seine Rede ein.
„Schee is, de kannt grod so guat von mia sei. Dankt da schee, Hoamatschreiberin“, sagt er und legt einen weiteren Hunderter aufn Schreibtisch.
Die überregionalen Heimatzeitungen fanden die Rede nicht ganz so passend. So titelte der Altinger Anzeiger dann auch: „10 Jahre Jungfrauen in Pollykarpsing: Schultheiß will für Abhilfe sorgen“